
Die Streitigkeiten zwischen Familien im selben Viertel entwickeln sich zu Repressalien durch Banden, die auch die Familien der KINDERHILFE treffen.
Armut und Arbeitslosigkeit bleiben die Konstante im Leben vieler kolumbianischer Familien. Das ist auch im Leben unserer Kinder und ihrer Eltern so, die irgendwie versuchen zu überleben. Das bedeutet für viele von ihnen, dass sie ihre Familie zu vernachlässigen müssen, um für lange Zeiten arbeiten zu gehen. Dann lassen sie ihre Kinder in der Obhut von irgendjemandem, der ihnen den Gefallen tun kann, sie zu hüten. Sie lassen sie bei einer Nachbarin, die die Kinder auf der Straße spielen lässt und inmitten ihrer Beschäftigungen ab und zu nach ihnen sieht. So werden die Kinder vom sozialen Ambiente ihres Viertels geprägt. Generationen anderer Kinder, sind schon so aufgewachsen: Inmitten des Straßenlärms, zwischen herumlungernden Jugendlichen und Erwachsenen ohne Beschäftigung, die dabei jede Art von Rausch- und Betäubungsmittel konsumierender damit handeln. Wieder andere gehören zu den „Pandillas“-Banden, die ihren Sitz dort haben, wo die meisten unserer Familien wohnen. So kommen die Kinder, ohne es zu wollen, nach und nach in Kontakt mit solchen Leuten – entweder durch eine Freundschaft im Viertel, wegen einer Beziehung oder durch Beziehungen der Eltern. Mit der Zeit werden daraus familiäre Verbindungen, und wenn es dann mal Differenzen zwischen den einzelnen Familien gibt, mischen diese Personen sich ein, und es beginnt ein Kampf oder Krieg, in dem versucht wird, die Gegner aus Rache zu töten.
Die Kinder, die in diesen vernachlässigten Zonen leben, machen jede Art von negativen Erfahrungen. Die Folgen der Konflikte zwischen den Familien und den Einfluss der Banden lassen sich auf den ersten Blick vielleicht nicht erkennen, deshalb ist es wichtig darüber zu berichten wie sie auf verschiedene Weise unsere Familien belasten.
Die Pandillas entstehen aus verschiedenen Gründen. Zweifellos haben sie ihren Ursprung in den finanziellen Notlagen der Familien. Kinder und Jugendlichen werden dadurch dazu gebracht schon früh die schlechteste Alternative zum Überleben zu wählen: sie schließen sich den Gruppen von Leuten (Pandillas) an. Mitten in der Stadt rauben sie andere aus oder handeln mit Drogen. Noch schlimmer ist es, sich den „Sicarios“ anzuschließen. Wie sie sagen, wirft das die meisten Gewinne ab. Im Fall eines Mordes bezahlen die Leute, die diesen beauftragen, sehr viel mehr als das, was man an einem ganzen Tag mit dem Verkauf von Drogen einnehmen könnte.
Zweifellos ist es typisch für die Kinder und Jugendlichen, die sich diesen Gruppen anschließen, dass sie aus Familien kommen, wo noch zusätzlich zu den finanziellen Problemen Gewalt und sexueller Missbrauch vorherrschen. Es gibt dort Tage, an denen sie etwas zu essen haben, aber andere, an denen sie es nur schaffen, einmal am Tag ein wenig zu essen. Daraus ist ein soziales Problem entstanden, das mit jedem Tag weiter wächst. Es kostet viele Kinder und Jugendliche das Leben, die in den Verlauf der Kriege zwischen den Familien verwickelt werden und in die Racheakte der Jugendlichen, die schon zu den Pandillas gehören. Sie haben sich diesen Gruppen angeschlossen als Mittel der Flucht aus ihren Problemen und als eine Möglichkeit, inmitten von so viel Elend zu überleben.
Für viele Kinder und Jugendliche hat sich das Überleben auf diese Art als Alternative zu ihrer materiellen Not entwickelt, denn leider gibt es nicht für alle die Möglichkeit, mit einer Arbeit voranzukommen. Meistens wird von ihnen Erfahrung auf dem Gebiet verlangt, und damit endet dann schon ihre Suche nach einem Unterhalt für die Familie. Wo könnten sie denn Erfahrungen bei der Arbeit machen, wenn sie als Jugendliche unter großen Schwierigkeiten gerade den höheren Schulabschluss schaffen und sich keine weitere Ausbildung leisten können, weil ihre Familien sie finanziell nicht mehr unterstützen können. Sie bekommen dann zu hören: „Bis hierher habe ich dir geholfen, jetzt suche dir selber das Geld für deine Kartoffeln, mein Kind“. Und das auf anständige Weise zu schaffen, ist ein Glücksspiel, denn in jeder Familie gibt es 3 oder 4 Heranwachsende, die überleben müssen und die schwere Aufgabe vor sich haben, eine Beschäftigung zu finden. Viele von ihnen ertragen das ständige Hören eines Neins als Antwort nicht, oder „Kommt die nächste Woche wieder, vielleicht gibt es dann was, und wir werden sehen“ . Also wird die Kette der Arbeitslosen immer länger und die Not der Familie lässt nicht auf sich warten. Deshalb gehen sie dann zu den besagten Gruppen, die vor vielen Jahren aus genau denselben Gründen entstanden sind.

Aus diesen Gründen gewinnt die KINDERHILFE immer mehr an Bedeutung, denn sie ist die Tür, die sich als Möglichkeit öffnet, das Leben für diese Menschen zu verändern. Jede Familie, die wir in eine unserer Gruppen aufnehmen, ist dieser Art von sozialen Problemen ausgesetzt. Sie leben in den so abgehängten Gegenden, sei es, weil schon die meisten Eltern hier aufgewachsen sind, oder weil sie hier eine bezahlbare Unterkunft gesucht haben. Dafür müssten sie mindestens um die 100 Euro zahlen ohne Nebenkosten, und ihr Geld reicht allenfalls, um mit dem Nötigsten zu überleben. Daher möchten wir wieder betonen, dass die KINDERHILFE dazu beigetragen hat, das Leben von Kindern und Jugendlichen aus diesen Gegenden zu retten. Jeder Tag, den sie in den Gruppen unseres Casita 2 verbringen, hält sie von dem so absorbierenden Umfeld fern. Sie müssen nicht diese so übergroße Not leiden, weil sie behütet und von klein auf gut ernährt werden. Deshalb nimmt die KINDERHILFE schon die ganz Kleinen auf, die dann in der Gruppe der Schulkinder weiterhin Unterstützung bekommen. Hier haben sie dann die nötigen Werte mitbekommen, um in der Mehrzahl vielleicht „Nein“ sagen zu können zu dieser Alternative des Überlebens. Wenn sie dagegen die Möglichkeit haben, die Schule bis zum Abschluss zu besuchen, können sie auch an neue Ziele denken, und es ist ihnen möglich, ihren Lebensunterhalt auf anständige Art zu verdienen. Sie lassen sich dann nicht vom Jugendlichen aus dem Viertel beeinflussen, der sie auffordert, sich einer Gruppe anzuschließen, um sich ganz leicht Geld zu beschaffen, was aber auch bedeuten kann, anderen Menschen das Leben zu nehmen.

Wie schon erwähnt, sind etliche Familien des Casita auch darin verwickelt und von diesen sozialen Problemen betroffen. Aber die KINDERHILFE hat sich auf ihr Leben ausgewirkt. Deshalb können wir heute die Geschichten einiger unserer Kinder und Jugendlichen, berichten, denen es hier gut geht, obwohl sie inmitten dieser Probleme aufwachsen müssen.
Viele von ihnen sind als ganz kleine Kinder aufgenommen worden. Die meisten begannen ihre Zeit bei uns in der Kita für Kleinkinder und sind im Laufe der Zeit durch die anderen Gruppen gegangen bis sie das Jugendalter erreicht haben. So wurde das Casita zur Zuflucht für die meisten unserer Kinder und Jugendlichen, weil sie hier nicht hungern müssen und ferngehalten werden von den Kämpfen der Banden in ihren Vierteln.

Andererseits haben nicht alle Familien in diesen Gegenden falsche Wege eingeschlagen, im Gegenteil. Sie kämpfen weiter gegen ihre schlimme Lage an, leiden aber ebenfalls unter den Problemen des Viertels, wo die Pandillas die Kontrolle über die Straßen übernommen haben. Sie grenzen die Räume ab, in denen die einzelnen Gruppen der Jugendlichen sich bewegen können, wo sie mit Drogen handeln, die Leute ausrauben und jedes andere Delikt verüben können. Daher leben die Familien dort ständig in der Angst vor einer verirrten Kugel bei den Kämpfen der Jugendbanden, die zu jeder Tageszeit stattfinden. Vor allem nachts gibt es die meisten Kämpfe, sei es aus Rache für den Tod eines Mitglieds durch eine andere Gruppe oder weil jemand die Grenzen überschritten hatte. Sie kämpfen um die Vormacht beim Drogenhandel, und so gibt es viele Gründe, die zum Tode eines oder mehrerer Menschen führen, sogar von Kindern und Leuten, die gar nichts mit dem Geschehen zu tun hatten.

Während dieser Kämpfe müssen die Familien sich in ihre Hütten flüchten, diese mit Stöcken sichern, damit die Jugendlichen sich nicht inmitten der Kämpfe in den Hütten verstecken. Die Familien müssen sich sogar unter den Betten oder anderen schützenden Gegenständen verstecken vor den Kugeln, Steinen, Pfählen, die diese Jugendlichen benutzen. Erst am nächsten Tag, wenn anscheinend alles ruhig ist, können sie hinausgehen. Aber dann sehen sie die zerbrochenen Fenster, Löcher in den Brettern, Steine auf den Zinkdächern ihrer Hütten. Und völlig machtlos müssen sie darüber nachdenken, wie sie das Geld für die Reparatur der angerichteten Schäden zusammenbekommen können.

Aber es gibt auch Familien, die ganz direkt in dieser Problematik stecken, weil sie Verbindung zu Leuten aus diesen Gruppen haben, wo jede Diskussion dazu führen kann, Rache zu nehmen. Dies ist der Fall bei einer Familie, die jetzt zum Casita gehört. Sie mußten ihr Zuhause verlassen, weil es ein Problem gab, das auf den ersten Blick nicht so alarmierend erschien. Aber es spitzte sich so zu, daß der Mann, mit dem es die Schwierigkeiten gegeben hatte, zu Bekannten ging, die zu diesen Gruppen gehören, und sie begannen, die Familie „zu bestrafen“. Darauf reagierten einige Mitglieder dieser Familie ebenfalls mit

Aggressionen, und das war der Beginn eines Kampfes, bei dem es auch Mordversuche gab. Deshalb stand am Ende des Streits eine ernsthafte Bedrohung. Sie mußten sofort ihr Haus verlassen, sonst wären sie umgebracht worden, denn die Mitglieder jener Gruppe begannen im selben Moment das Haus mit Steinen und Balken zu zerstören, und die Familie konnte grade noch fliehen.
Ihre vierjährige Tochter war vorher in der Kita des Haupthauses. Aber angesichts des Vorgefallenen ließen wir sie in die Kita des Casitas wechseln, denn ihre Familie mußte sehr weit von ihrem Viertel weggehen. Die Mutter des Kindes, das wir Ana nennen wollen, berichtet, daß sie und ihre Familie beim Verlassen ihres Viertels nur an das Leben der Kinder gedacht hatten, denn jene Leute interessiert es nicht, ob Kinder sterben, wenn sie dabei sind, Rache zu verüben, im Gegenteil. Für sie es befriedigend, wenn sie der Familie großen Schaden zufügen konnten. Auch wenn Anas Mutter wieder schwanger ist und ihre Familie sich nicht zuverlässig an die Regeln der Kinderhilfe gehalten hat, möchten wir Ana in der Kita des Casitas helfen und ihrer Familie in ihrem Versuch, das Leben der kleinen Kinder zu gewahren, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu ändern und nicht weiter Rache nehmen zu wollen, was zu nichts Gutem führt. Wir hoffen, daß die Familie diese Chance nutzen wird, damit die Kleine weiterhin alle Möglichkeiten des Vereins wie bisher genießen kann.
Einen anderen Fall, den wir erwähnen möchten, ist der der kleinen Paula. Wir haben sie aufgenommen, um ihr das Leben zu retten, denn der Vater nahm seit einiger Zeit Drogen. Die Mutter tat es früher ebenfalls, hörte aber damit auf, als sie erfuhr, daß sie schwanger war. Beide Eltern des Kindes sind sehr jung und in extremer Armut aufgewachsen, weshalb sie sich einer Gruppe von Jugendlichen anschlossen, die sie verführten, Drogen zu probieren, um ein paar angenehme Momente zu haben. Dem verfiel der Vater des Kindes am meisten, denn er ist sehr jung und hat in seinem Elternhaus keinerlei Anleitung und Halt. Geprägt hat ihn auch der frühe Verlust seiner Mutter, die umgebracht wurde. Seitdem mußte er bei seiner Großmutter aufwachsen und große Not leiden, abgesehen von der emotionalen Leere. Vielleicht wollte er sich deshalb nicht der traurigen Wirklichkeit stellen und ließ sich von seinen vermeintlichen Freunden verführen.
Als wir Paula aufnahmen, arbeitete ihre Mutter an einem Essenstand in einem Einkaufszentrum. Kurz vorher war sie wieder mit dem Vater ihrer Tochter zusammengekommen, denn sie hatten sich getrennt, weil der Mann begonnen hatte, ständig Drogen zu konsumieren und schon die Kontrolle über seine Handlungen verlor. Er griff sogar die Familie an. Aber dieser junge Mann änderte sich, als er merkte, daß seine Tochter sich von ihm entfernte und er sie kaum noch sehen konnte. Wenn er mit dem Kind sprach, konnte er sie sagen hören, obwohl sie erst 2 Jahre alt war, daß sie ihn vermißte. Paula hatte wirklich sehr an ihrem Vater gehangen, wie die junge Mutter berichtet, und das motivierte ihn wohl, abgesehen davon, daß die Polizei ihm sein Transportmittel, mit dem er sich an jene gefährlichen Ort begab, fortnahm.

Die Lage der Familie ist sehr schwierig, und das Umfeld, in dem das Kind und seine Eltern leben, noch viel mehr. Zweifellos herrscht in diesem Heim eine finanzielle und emotionale Krise. Deshalb haben wir Paula aufgenommen, weil die Not so groß ist und die Eltern vielleicht in ihrer Verzweiflung, ihr nicht das Nötigste, wie das Essen, geben zu können, der Verführung nicht widerstehen könnten und den guten Weg, auf dem sie sich befinden verlassen, um sich den Pandillas anzuschließen. Dort werden die Familien von einem Moment zum anderen von jenen Typen abhängig, um das tägliche Brot beschaffen zu können, und wenn sie dann eventuell diese Welt verlassen wollen, geht das nicht mehr, weil sie sich an dieses Leben gewöhnt haben oder weil es Drohungen und Anschläge gegen ihre Familie geben wird.
Und hier greift die KINDERHILFE ein, um die verschiedenen Bedürfnisse der kleinen Paula zu decken, damit vor allem der Vater in seiner Verzweiflung nicht wieder rückfällig wird und zu einem weiteren jungen Mann, vor dem man Angst haben muß, weil er zu einer Pandilla gehört. Wir können natürlich in Hinblick auf ihre finanziellen Erfolge nicht viel von ihnen erwarten; aber wir stehen ihnen bei, damit sie ihren Unterhalt auf anständige Weise verdienen können. Und Paula kann, wie die anderen Kinder, die in großer Not leben, eine gesunde Kindheit im Casita 2 genießen.

Auf seine Art ist jedes Angebot im Verein wichtig, und diesmal möchten wir ein wenig davon berichten, wie es um eine andere Gruppe steht:
Die HANDARBEITSGRUPPE erfreut sich weiterhin einer guten Beteiligung von Frauen, von denen viele in den beschriebenen Vierteln leben. Auch sie haben in allen ihren Lebensabschnitten mit solchen Problemen kämpfen müssen. Etliche von ihnen haben um einen Sohn oder Verwandten weinen müssen, der in jener Welt verloren ging. Für sie ist es nie leicht gewesen in den Jahren und weil sie müde sind vom Kampf mit all den Problemen. Deshalb hat sich ihr Leben in dem Augenblick, als sie diesen so behaglichen Ort fanden, ein wenig

verändert. Hier vergessen sie die Probleme zuhause ein wenig. Andere kommen lieber hierher, weil sie in ihrem Viertel nur ein desolates Umfeld vorfinden, während es hier nie an netten Geschichten und Späßen fehlt.
In diesem Quartal sind es immer 25 Frauen gewesen, die gestickt oder gestrickt haben. Alle gemeinsam haben Blumen angefertigt aus Bändern, die eine Frau aus der Gruppe mitgebracht hatte. Ein Bekannter von ihr hatte sie ihr geschenkt, weil er sein Geschäft mit Stoffen und Zubehör auflösen mußte.
Auch das HANDARBEITEN FÜR KINDER UND JUGENDLICHE hat bei unserer Aufgabe, Kinder und Jugendliche außerhalb des Vereins zu retten, geholfen. Unsere Mitarbeiterin Carmen Lilian hat dieses Angebot neu belebt und bietet mit viel Liebe neue Ideen an, die sie gut vorbereitet, damit die Kinder motiviert werden, in der folgenden Woche wiederzukommen. Das gelingt in vielen Fällen, und im Moment

sind es 15 bis 17 Kinder, die regelmäßig kommen. Da jetzt mit dem neuen Schuljahr der Unterricht wieder begonnen hat, haben sie einen Stifthalter aus Toilettenpapierrollen gebastelt. An einem anderen Tag fertigten sie eine Verzierung für den Bleistift an, und nebenbei knüpften sie ein Freundschaftsarmband aus Perlen. Dieses legten sie auch gleich an, als sie es fertig hatten, weil sie so begeistert davon waren.
So ist jedes Angebot hier sehr wertvoll, weil es ermöglicht, das Leben von Kindern, Jugendlichen und Frauen, die im Casita betreut werden, zu bewahren. Wieder möchten wir der Senora Ute und allen Spendern danken, die es ermöglichen, daß diese großartige Arbeit weitergeht.
Sandra Anasco